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Aus dem VorwortWer die Begriffe besetzt, dem gehört die Zukunft. Mit dieser griffigen Formel versuchte der Konservatismus die intellektuelle Hegemonie im "sozialdemokratischen Zeitalter" wieder zu gewinnen, dessen Ende Ralf Dahrendorf schon in den 80er Jahren mit Margaret Thatcher als unwiderruflich gekommen sah. Doch, merkwürdig genug, nicht die konservativen Parteien regieren heute Europa, sondern eine als "New Labour", "Dritter Weg" oder "Neue Mitte" sich formierende Sozialdemokratie in England und Deutschland schickt sich an, das neue Europa nach einem Bild zu formen, das regen Zuspruch fast nur noch aus den Etagen der Großkonzerne und Unternehmensverbände erhalt und in den Parteiorganisationen und verbündeten Gewerkschaften wachsenden Widerstand auslöst. Wird die "neue" Sozialdemokratie, wie der französische Le Monde vermutet den Platz des Konformismus und Konservatismus in Europa einnehmen? Spätestens seit dem Zusammenbruch des autoritären poststalinistischen Staatssozialismus geriet auch der jahrzehntelange Konkurrent und ideologische Gegenspieler namens "demokratischer Sozialismus" in die Defensive. Die Bewußtseinsherrschaft der Sozialwissenschaften wirkt nicht durch ihre Einsichten, sondern durch ihre Themenstellungen und begrifflichen Formeln. Der Erfolg von Soziologie hängt von der Definitionsmacht über Stichworte ab - es geht nicht nur um Expertisen der Rationalisierung für die Technologen der Macht, sondern um ihre simultane Verknüpfung mit gewissen Aspekten von Heils- und Erlösungsversprechen. Nach wie vor übernimmt auch in der Periode der neuen Unübersichtlichkeit die heutige Ideologie der "reflexiven" oder "Zweiten Moderne" die gesellschaftliche Funktion der individuellen Sinnstiftung und der Rechtfertigung bzw. Verschleierung von Herrschaft Schwieriger wird jedoch die Spezifizierung der Wirkungsmechanismen dieser Ideologie, dieser neuen Art von Ordnungssoziologie, insbesondre in ihren Repräsentanten Ulrich Beck und Anthony Giddens. Die exemplarische Kritik an dieser Wissenschaftsposition setzt dort an, wo die demonstrative Verleugnung kritischer Theorieansätze und Erkenntnisse der Vergangenheit die Glaubwürdigkeit ihrer Analyse stützen und bekräftigen sollen, die im Grunde den modernen Kapitalismus als eine geschichtlich bereits überwundene Gesellschaftsordnung darstellen, und zwar in einer Form, in der er mit einem Zuschlag an "individueller Gestaltungsmacht" noch als quasi humanisierter Naturzustand erscheint. (0. Negt) Doch wo die großflächigen Thesen der "Wissensgesellschaft" der zweiten Moderne sich ins "Jenseits von Links und Rechts" (A.Giddens) aufmachen und damit entschieden die gesamte Breite der Ideologiekritik herausfordern, liegt auch hier wie so oft der Teufel im Detail, in den einzelnen Verästelungen und muß in den besonderen Bereichen nachgespürt werden. Die Realitätsverleugnung durch Wissenschaft gibt sich als besonders arrogant zu erkennen in der alles beherrschenden Disziplin der bürgerlichen Gesellschaft, wo die Grundstruktur des Ideologischen in der auf die Kernstruktur der kapitalistischen Organisation der Arbeit zurückzuführen ist: der Ökonomie. "Die Illusion der neuen Freiheit" läuft hier auf zu einer schier alle Lebensbereiche beherrschenden Weltanschauung, ja zu einer Art Weltreligion der Neo-Klassik. (M. Krätke) Ihre Termini beherrschen schon weitgehend die Sprache der Politik, wie das jüngste gemeinsame Positionspapier der sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Tony Blair und Gerhard Schröder deutlich zeigt, aber auch die "privaten" Selbstdeutungen der Lebensstile jenseits des eigentlichen Wirtschaftsgeschehens. Genau besehen läßt sich der ideologische Gehalt der Neo-Klassik charakterisieren als "Realitätsabwehr" (Th.v.d. Vring) Ihr Paradigma des "reinen Tausches" im Marktgleichgewicht immunisiert sich nicht nur gegen jede Methodenkritik, sondern gar gegen jede sachgerechte empirische Überprüfung. So bleibt die Aufgabe kritischer Wissenschaft weiterhin die Aufklärung als Ideologiekritik, der Herrschaft, Ausbeutung und Ausgrenzung legitimierenden oder verschleiernden Ideologien und ihrer gesellschaftlicher Wurzeln. Die Beiträge wurden als Referate auf der Tagung "Kritik der herrschenden Ideologie. Wissenschaftskritik als Gesellschaftsanalyse" gehalten und für den Druck zum Teil erheblich erweitert. Die Tagung - sie fand vom 17./18. Oktober 1998 in der Evangelischen Akademie Loccum stau wurde von einem lnitiativkreis kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konzipiert und moderiert. Das Ziel der Initiative ist, eine stärkere Kooperation kritischer Intellektueller in Gang zu bringen, um die herrschende Definitionsmacht über zentrale politisch-wissenschaftliche Probleme systematisch in Frage zu stellen. Hannover, im Juli 1999 Michael Buckmiller Mit Beiträgen von
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Zuletzt geändert am 23.10.1999
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